Allgemein lauftagebuch

Originalfassung: Liebesbrief an den Körper in der Women’s Health

Es war Mai als ich von der Women’s Health-Redakteurin die Anfrage bekam, ob ich einen Text zum großen Editorial über Selbstliebe beisteuern möchte für die August-Ausgabe des Frauen-Fitness-Magazins.

Ich gebe zu, ich hab die Zeitschrift noch nie gelesen. Früher als ich noch zu den Passivsportlerinnen gehörte, habe ich mir oft die „Shape“ gekauft, um 5 x die Fitnessübungen durchzulesen, die ich dann doch nie gemacht habe. Aber ich hab mich gut gefühlt dabei.

Jedenfalls fand ich das Thema gut, ich durfte was schreiben (was ich auch immer gut finde) und es ist ja auch supercool, wenn man seinen Namen und sein Foto in eine großen Zeitschrift wiederfindet – sofern es sich um positive und legale Angelegenheiten handelt.

Letzte Woche schreibt mir meine Mama dann eine whatsApp:

„Ich hab grad die Women’s Health gekauft, super hast du geschrieben, bin stolz!“

Ok, Zeit eine Zeitung kaufen zu gehen. Und da steh ich nun also mit meinem Liebesbrief an den eigenen Körper in diesem Magazin. Ich lese den Text. Einmal, zweimal … habe auch die PDF schon von der Redaktion bekommen und irgendwas stört mich.

Mal abgesehen davon, dass weder mein Blog, noch mein Buch erwähnt ist … aber hey, was soll’s!

Die richtig berühmten Leute haben das nicht nötig. Deren Blog KENNT man einfach.

Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass der Text doch ziemlich gepimped ist … zwar immer noch meine Worte, ABER ich habe definitiv nie gesagt oder geschrieben, dass ich „radikal“ auf vegan umgestellt habe. Diese Wortwahl entspricht weder mir noch den Tatsachen. Ich empfinde mich nicht als radikal. Tatsächlich geschrieben hatte ich „Knall auf Fall“. Und für mich als Bloggerin & Texterin macht das einen großen, emotionalen Unterschied in der Bauchgegend. Knall auf Fall macht gute Bauchgefühle und sorgt für aufgeregte Spannung. Radikal dagegen verursacht mir etwas Bauchgrummeln à la „kann das gutgehen?“

Dass ich 2018 einen Marathon laufe, habe ich übrigens auch nie erwähnt.

Aber vermutlich trägt das zur allgemeinen Sicherheit bei à la „Schneller, höher, weiter – nach dem 3. Halbmarathon folgt unweigerlich der Marathon“. Jaja … nein. Aus. Nach dem 3. Halbmarathon folgt manchmal auch einfach nur ein tiefes Loch, eine beschissene Verletzung, die sich niemand erklären kann, die Scheidung nach einer langjährigen Super-Beziehung, der Auszug aus dem trauten Heim, der Hausverkauf und der Eintritt in ein neues Leben, von dem keiner eine Ahnung hat, wo es hinführt. Oder doch, laut Women’s Health zum Marathon 2018. Danke für den Hinweis. Jetzt weiß ich endlich was wirklich wichtig ist im Leben. (Sarkasmus-Mode aus, sorry. Nein, nicht sorry. Ich mag es nicht, wenn mir Marathon-Ziele in den Mund gelegt und europaweit abgedruckt werden. Nicht sorry!)

Dennoch finde ich die Veröffentlichung in der Women’s Health sehr schön und die Idee zum Thema ist eine tolle Idee. Es sollte mehr davon geben und ich habe beschlossen, hier die Original-Fassung des Liebesbriefes an meinen Körper zu veröffentlichen. Für alle, die die Zeitung nicht mögen, sie sich nicht leisten können oder die Lust haben, eine ungekürzte Original-Fassung zu lesen. Here we go:

An den besten Körper der Welt!

Gerade eben in der Umkleidekabine dachte ich mir: „Wir haben es schon nicht leicht, du und ich.“ Du bist kein unbeschriebenes Blatt mehr, mein lieber Körper. Die Spuren der vergangenen 37 Jahre sind deutlich zu sehen. Wir haben Dellen, wir haben Streifen, wir haben blaue Flecken und Äderchen – aber vor allem haben wir uns. Doch das war nicht immer so, erinnerst du dich? Die ersten 32 Jahre unseres gemeinsamen Lebens waren wir eher Zweckgemeinschaft als Liebespaar.

Ich erinnere mich an unseren Sportunterricht. Was hab ich mich für dich geschämt! Nie konntest du so weit, so hoch oder so schnell springen und laufen wie alle anderen. Wenn ich ehrlich bin, hab ich dich gehasst. Du warst ein Teil von mir, den ich nicht kontrollieren konnte – wegen dir hab ich mich gefühlt wie eine Versagerin. Und ich glaube, ein bisschen hast du mich auch gehasst damals. Nach vielen Diäten und zwanghaften Versuchen, endlich Sport zu treiben, habe ich dich aufgegeben. Ich habe beschlossen, es gut sein zu lassen. Bequem zu bleiben, kein weiteres Hoch mehr anzustreben, auf das unweigerlich ein Tief folgt. Doch dann hast du mir diesen Traum geschickt. In dem Traum sah ich uns beide, wie wir über die Ziellinie eines Marathons liefen. Wir waren glücklich zusammen, ein Team. Ein echtes Team. An dem Tag bin ich aufgewacht und hatte das intensive Bedürfnis, herauszufinden, wie weit wir zusammen kommen können.

Lieber Himmel, der Anfang war zäh!

Ich wollte ständig mit dem Kopf durch die Wand und die Welt innerhalb kürzester Zeit um 180 Grad drehen. Du hast dagegen gehalten. Hast mir sehr bald signalisiert wo deine Grenzen sind. Hast mich und meine Euphorie in ihre Schranken verwiesen. Keine 3 Monate konnte ich trainieren, dann hast du mich gezwungen, aufzuhören. Weil du in meinen Augen „nicht richtig funktioniert“ hast. Aber in dieser Sportpause erlebte ich einen Moment mit dir, den ich nicht vergessen habe. Es war eine kleine unbedeutende Yoga-Pose, die jedes Kind im Kindergarten beherrscht (du aber natürlich nicht). Sie war nicht perfekt, aber sie funktionierte plötzlich besser und das war der Moment in dem mir klar wurde, dass DU mich nicht aufgegeben hast, wie ich dich. Dass du immer noch da warst, immer noch dein Bestes gegeben hast und immer noch bereit warst, dich mit mir gemeinsam zu entwickeln. Plötzlich empfand ich sehr viel Zuneigung dir gegenüber und ich beschloss, dich besser zu behandeln. Dich nicht mehr zu überfordern, dir mein Bestes zu geben und gut für dich zu sorgen.

Die 9 Monate Sportpause, die uns der Arzt verordnet hatte, haben wir gut überstanden gemeinsam. Ich versorgte dich mit gutem Essen, in angemessenen Portionen, habe auf die Qualität der Lebensmittel geachtet und dich vielleicht zum ersten Mal so behandelt, wie du es verdient hast. Und plötzlich waren wir in einer Beziehung. Ich hab dir wieder Gehör geschenkt, wenn du mir ein Zeichen gegeben hast. Ich hab dich wieder gespürt, ich hab mich gespürt – ich habe endlich UNS gespürt. Besonders beim Laufen war das phasenweise ein solches Hochgefühl, dass ich es nicht besser beschreiben kann, als dass ich mich dabei wirklich in dich verliebt habe.

Unseren ersten Halbmarathon werde ich nie vergessen. Ich war so stolz auf dich. Was wir da gemeinsam geschafft haben, ist wirklich großartig. Ja, wir waren langsam – langsamer als fast alle anderen. Aber wir haben es geschafft! Durch dich habe ich gelernt, geduldiger mit mir zu sein und „mitzumachen“ auch wenn ich nicht der gängigen Sportler-Norm entspreche. Trotzdem bei Wettläufen dabei zu sein, weil meine Platzierung als eine der Letzten viele Menschen motiviert, sich auch zu trauen. Es ging mir nie darum, Gewicht zu verlieren oder eine grandiose Sportlerin zu werden – ich wollte meine Beziehung zu dir retten. Und ich denke, das ist mir geglückt. Denn ich weiß jetzt, wozu du fähig bist, wenn du meine Unterstützung bekommst. Deswegen kann ich heute voller Stolz sagen: Ich habe den besten Körper der Welt. Denn ich habe nur diesen einen. Und so möchte ich dich auch behandeln.

Mein Name ist Judith Riemer, ich bin Bloggerin, Läuferin und glückliche nicht-radikalisierte Veganerin. Ich habe das Buch „Turtlerunners Trainingsbuch“ geschrieben und habe einen erfolgreichen Blog namens www.veganmarathon.com. Und ich werde 2018 sehr wahrscheinlich keinen Marathon laufen. Nur fürs Protokoll.

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