Advent, die Zeit der Besinnlichkeit und Ruhe, der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft und … ach neee, Schmarrn. Ich bin einfach nur genervt. Zumindest von manchen meiner Mitmenschen.
Das hier wird ein Motz-Artikel – wer also in seiner heilen Weihnachtskugel sitzt und Last Christmas hört, liest jetzt bitte nicht weiter. Hat zwar eigentlich nichts mit Weihnachten zu tun, passierte aber eben alles gerade in dieser Zeit.
Hier ein Auszug aus einer e-Mail, die mich kürzlich erreichte:
„blablablablabla … und Judith, du musst jetzt nicht mehr abnehmen, ich habe ein Foto von dir gesehen.“
Erhalten von einem Menschen, mit dem ich so gut wie überhaupt NICHTS aber auch GAR NICHTS zu tun habe. Der mich nicht wirklich kennt, nicht weiß, was ich tue und warum (nicht dass ich das selber immer wüsste), der in den letzten 33 Jahren keine 20 Sätze mit mir gesprochen hat.
Ja, Himmel Sapperlot! Wer sagt denn überhaupt, dass ich am Abnehmen bin? Darüber bin ich doch schon lang hinaus – Abnehmen ist für Anfänger! Und was heißt hier überhaupt „du musst jetzt nicht mehr abnehmen?“ Vorher hatte ich es also nötig, oder wie? Aber da hat kein Mensch was gesagt. Man könnte ja die Gefühle verletzen – und jetzt nicht mehr, oder was? Vielleicht fühle ich mich super und pudelwohl wie der Bär im Honigtopf und bekomme ständig gesagt „jetzt ist dann aber mal gut!“ Wen – außer mir – geht das eigentlich was an?
Und ich wiederhole mich: ich wiege 67 Kilo bei einer Größe von 173 cm und habe einen BMI von knapp 23. Von wegen Untergewicht oder so Schwachsinn braucht mir keiner kommen. Außerdem habe ich als Ass im Ärmel immer noch meine 30% Fettanteil. HA!
Nächster Kandidat. Direkte Ansprache. „Aber Judith, jetzt machst du nicht mehr weiter, oder?“ „Womit?“ „Naja, du weißt schon, ich glaube, es reicht jetzt.“ „Was genau willst du mir sagen – spuck’s einfach aus!“ „Naja, so wie du jetzt bist, gefällst du mir …“ Aha. Na, danke auch.
Wieso denken diese Menschen ich bin hier, um ihnen zu gefallen? Ist es nicht wichtiger, dass ich mir gefalle? Und überhaupt geht es doch schon lange nicht mehr ums Gefallen. Ich und mein Körper wir sind ein Team. Wir haben uns ein Ziel gesetzt, dass wir gemeinsam erreichen. Da geht es nicht um Äußerlichkeiten und darum, ob ich jetzt 2 Kilo mehr oder weniger wiege. Das spielt schon lange keine Rolle mehr.
Was ich zum Schluss sagen möchte (und das jetzt wirklich mit adventlichem Hintergedanken): Wir sehen von den meisten Menschen nur einen Ausschnitt. Ein Puzzleteil. Um den ganzen Menschen zu erfassen, zu verstehen, ihn zu begreifen, müssen wir uns die Zeit nehmen, ihn kennen zu lernen. Und wie das mit dem Lernen so ist: Es braucht viel Zeit. Die nimmt sich heute niemand mehr und schon gar nicht vor Weihnachten.
Und ich nehme mich selber an der Nase, denn auch ich urteile manchmal vorschnell und ohne großartig zu überlegen. Wenn jemand plötzlich (ist ja auch wieder relativ, wenn ich den Typen zig Jahre nicht gesehen habe) sehr dünn oder sehr dick wird, oder keine Haare mehr hat oder keine Frau mehr oder keinen Job oder was weiß ich – dann steht es mir nicht zu, darüber zu urteilen. Und schon gar nicht, wenn ich diesen Menschen nicht kenne.
Ja, ich weiß, jeder meint es immer nur gut mit dem anderen – glaub ich nicht. Ich erlebe einige Geschichten, die mit gutem Willen nichts zu tun haben, sondern mit Neid und Eifersucht. Das ist ok, so sind die Menschen. Ich möchte mir für mich als Adventsvorsatz nehmen, dass ich keine Urteile fälle bzw. mir eine Meinung bilde, bevor ich mir die Zeit genommen habe, mich mit einem Menschen zu unterhalten.
Und ihr guten Menschen da draußen, ich hoffe, ihr macht es umgekehrt mit mir auch so – denn ich KANN es nicht mehr hören!
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