Puh, jetzt ist es also vollbracht: ich bin heute bei meinem ersten Halbmarathon erfolgreich über die Ziellinie gelaufen!
Drei Monate habe ich mich gezielt mit dem Trainingsplan aus dem Buch „No Meat Athlete“ von Matt Frazier darauf vorbereitet. Dieser Lauf war für mich der Abschluss und gleichzeitig eine Art Krönung der vergangenen zwei Jahre, in denen ich mich äußerlich und auch innerlich, sagen wir mal, etwas gewandelt habe.
Pulsflattern
Und trotzdem trat in den letzten Wochen gegenüber dem Wort Halbmarathon immer mehr das Gefühl bei mir auf: „Ach ja, das auch noch. Reizt mich irgendwie überhaupt nicht mehr.“ Dementsprechend gelassen ging ich heute an den Start. Ich war noch nie so entspannt bei einem Startschuss. Gut, abgesehen von letzter Woche, als ich den Startschuss beim 24-Stunden-Lauf beinahe verpasst hätte, und gerade noch rechtzeitig zum Countdown im Startblock eintraf – da hatte mein Puls gerade mal die 120 erklimmt, was bei mir ja quasi kurz vor der R.E.M.-Phase ist. Nun, heute war’s nicht viel anders.
Das erste Mal hüpfte der Puls ein wenig, als ich am Rand bei den Zuschauern ein bekanntes Gesicht entdeckte: Sarah, die gemeinsam mit mir den Reschenseelauf gemeistert hatte im vergangenen Juli, war da! Mit einem Schild – extra für mich! Hui, was hab ich mich da gefreut, ich dachte, das kann gar nicht wahr sein – hätte ich nicht laufen müssen, wäre ich glatt stehengeblieben und ihr um den Hals gefallen – aber ich dachte mir, dass würde jetzt nicht ganz so professionell aussehen 250 Meter nach dem Start.
Über die Schmerzgrenze
Meine körperliche Schmerzgrenze war bei etwa 15 Kilometern erreicht. Das rechte Bein ist allgemein seit einigen Wochen etwas beleidigt und zickt ein wenig rum und so war das auch heute. Da die wunderschöne Strecke entlang der Argen aber reichlich mit Verpflegungsstellen bestückt war, hangelte ich mich von einer zur nächsten. Futter (in diesem Falle Bananen und Äpfel) hilft bei mir so ziemlich gegen alles: schlechte Laune, Müdigkeit, Hunger und auch gegen schmerzende Beine.
Das heulende Elend
Mein erster Halbmarathon plätscherte also relativ unspektakulär vor sich hin. Bis 2 Kilometer vor dem Ende. Klar, ich jammerte ein wenig wegen dem Bein und überhaupt war ich einfach fertig und froh, dass das Ziel endlich näher rückte. Bei Kilometer 19 kam mir plötzlich ein (verdrängtes?) Erlebnis in den Sinn vom 24-Stunden-Lauf letzte Woche: Unser Showman Götz kam, als er seine Runden drehte, mal wieder an unserer Wechselzone vorbei und schmetterte den Körperzellen-Song. Und ich dachte mir heute: „Kann ja nicht schaden.“ Begann also leise vor mich hinzusingen: „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, jede Zelle ist voll gut drauf. Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, jede Zelle …“ Für kurze Zeit hatte ich das Gefühl, dass es half! So hangelte ich mich zum Schild mit „Kilometer 20“.
Und dann passierte es. Das Schild tauchte auf und gleichzeitig mit dem Schild, hatte ich plötzlich ein Bild im Kopf. Und zwar dieses hier:
Dieses Bild entstand im Mai 2012, als ich gerade erst anfing, zu laufen. Als ich mich noch geweigert hatte, mich fotografieren zu lassen und das Höchste der Gefühle ein Foto aus der Ferne von hinten war. Ich sah also dieses Bild vor meinem inneren Auge und lief gleichzeitig meinen ersten Halbmarathon.
Und plötzlich hatte ich den unbändigen Drang zu weinen! Ich meine: so richtig! Mit Schluchzen, Tränen und allem, was dazu gehört – das Problem war nur: ich lief ja noch und hatte sowieso schon dezente Atemprobleme. Das Ganze entwickelte sich dann zu einem Atemgeräusch, das eine Mischung aus Pfeifen und Schluchzen war. Mein Mann blickte mich bestürzt an und fragte, was los ist. Ich schüttelte nur den Kopf, lief weiter. Ich konnte das nicht erklären. Ich bin beileibe kein sentimentaler Mensch, ich bin ja nicht mal romantisch – aber plötzlich erwischten mich seltsame Emotionen und zwar volle Breitseite. Ich musste eine Gehpause einlegen und pfiff vor mich hin (also ich atmete). Mein Mann, fürsorglich wie immer, meinte: „Wir kollabieren bitte erst nach dem Zieleinlauf, klar?“ Selbstverständlich Schatz, was dachtest du denn?
Plötzlich empfand ich so einen Stolz auf diese übergewichtige Judith aus dem Mai 2012, die da so tapfer ihre Runden drehte und die damals niemals ernsthaft geglaubt hätte, dass sie zweieinhalb Jahre später an einem Halbmarathon teilnimmt. Und ich dachte daran, dass ich ihr so gern gesagt hätte, dass wir das schaffen. Und ständig drangen die Tränen nach oben, aber noch war das Ziel ein paar Hundert Meter entfernt und ich wusste, wenn ich jetzt so richtig weinen würde, dann konnte ich keinen Meter mehr laufen.
Ich kämpfte mich weiter in Richtung Ziel. „Bald seid ihr im Ziel!“, riefen zwei Streckenposten. „Nur noch um die Biegung und dann 100 Meter!“, rief uns ein Halbmarathoni entgegen, der es schon geschafft hatte. Ok, das sollte klappen. Kurz vor dem Ziel war Sarah wieder da und feuerte uns an. Das gab nochmal einen Motivationskick und ich schaffte es nach 2 Stunden und 36 Minuten ins Ziel meines ersten Halbmarathons.
2 Becher Wasser und 3 Wassermelonen später, weinte und lachte ich dann gleichzeitig und ich habe bis jetzt keine Ahnung, wo diese überschwänglichen Emotionen herkamen. Scheinbar war dieser Halbmarathon doch wichtiger für mein Seelenleben, als ich dachte. Ich bin jedenfalls sehr froh und auch stolz, es geschafft zu haben!
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