Intervalltraining
Ich trabe im Warmmach-Tempo vor mich hin. Noch 20 Sekunden bis zum Intervall meldet der Garmin. Noch 10 Sekunden. Ich laufe ein wenig schneller, schließlich will ich vom Intervall-Tempo nicht überrumpelt werden. Noch 3, 2, 1 … LOS! „1. Intervall für 800 Meter in der Pulszone 172 – 181“, befiehlt der Garmin mit einem nervigen Piepsen, vibrierend am Armgelenk. Ich laufe schneller, atme schneller. Nach 10 Sekunden habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr schlucken. Irgendwie ist alles so trocken. Nach 30 Sekunden habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr atmen. Kein Rhythmus. Der Garmin vibriert genervt: „Puls zu niedrig“. Ich laufe weiter, will nicht zu sehr beschleunigen, denn schließlich muss ich 800 Meter durchhalten. Das kann verdammt lang sein. Bei jedem Ausatmen ist inzwischen ein seltsamer Ton hinzugekommen, nicht vom Garmin, sondern von mir. Eine Art Ächzen. Ich keuche. Vor lauter Speed (gefühlter Speed, in Wirklichkeit war’s wohl irgendwas um die 10 km/h) werde ich unkonzentriert, muss aufpassen, dass ich nicht stolpere. Wie ein Schluck Wasser in der Kurve, versuche ich, meine Bahn zu halten. Atmen geht immer noch nicht geräuschlos. Nur durch den Mund. Koordiniertes Laufen sieht auch anders aus – ich schwanke, wie ein Schiff auf zwei Beinen. Nach rund 300 Metern habe ich endlich diesen verdammten Pulsbereich erreicht. Allerdings nur die unterste Grenze davon.
Was ist passiert?
Ganz grob kann man sagen, mein Körper muss nun mit einer Geschwindigkeit laufen, um den angestrebten Pulsbereich zu erreichen, die er noch nicht kennt. Die Beine müssen sich schneller bewegen, die Atmung muss sich anpassen, Muskeln, Sehnen, Bänder – das Zusammenspiel funktioniert noch nicht wirklich in dem Bereich. Wir haben uns daran gewöhnt, gemütlich mit 7 km/h vor uns hinzutrotten. Darin sind wir inzwischen großartig und beinahe unschlagbar! Aber das hier? Das ist neu. Nachdem ich mich deswegen bei meinem Trainer ausgeheult habe und ihm mitgeteilt habe, dass ich fürchte, ich bin nicht dazu gemacht, so schnell zu laufen, hat er es mir dann erklärt.
Es ist ein bisschen so, wie wenn du nochmal Gehen lernst.
Dein Körper lernt jetzt, sich mit einer neuen, schnelleren Geschwindigkeit fortzubewegen – er ist es nicht gewohnt, da er es bisher nie musste. Neue Abläufe werden mit jedem Training innerhalb des Körpers programmiert. Anfangs kann das unkoordiniert sein, die Atmung passt nicht – eigentlich passt gar nix. Aber der Körper lernt. Jedes Mal. Jedes verfluchte Intervalltraining. Und ja, geflucht habe ich in den Trabpausen wie ein Weltmeister (darin bin ich ausgesprochen gut). Das ändert nix daran, dass ich gestern hätte heulen mögen. Ich fühlte mich, wie ganz am Anfang. Kaugummi unter den Füßen, Waten durch ein Meer aus flüssigem Zement. Anstrengung, Schweiß, zeitweise Überforderung – und immer wieder kurz der Gedankenblitz: „Lass es sein. Das kannst du nicht!“ Aber genau das stimmt nicht. Ich kann es sehr wohl. Als ich klein war und laufen lernte, bin ich auch oft auf die Schnauze gefallen. Habe ich damals meinem inneren Kritiker geglaubt? Nein. Ich bin so oft wieder aufgestanden, bis das Laufen von selber ging. Bis ich nicht mehr drüber nachdenken musste. Und deswegen bin ich gestern diese doofen 6 Intervalle gelaufen. Zornig, wütend, erschöpft und atemlos. Aber ich bin gelaufen. Werden wir schon noch sehen, wer hier den längeren Atem hat. In einem Jahr werde ich dann hier zu diesem Eintrag zurückblättern. Dann schauen wir mal, was sich bis dahin getan hat. Aber eins ist sicher: liegenbleiben gilt nicht!
1 Kommentar