lauftagebuch

Die Mathematik des Laufens

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ein Mathe-Lehrer mir mal einen Satz mit auf den Weg geben würde, der wirklich etwas bewegt? Und damit meine ich nicht den Satz des Pythagoras. Obwohl das auch ein sehr schlauer Kerl war und zudem noch Vegetarier.

Wenn es zwei Fächer in der Schule gab, die ich abgrundtief hasste und zutiefst verabscheute, dann waren das Sport und Mathematik. Und wieso? Weil ich von Haus aus in beiden Fächern grottenschlecht war. Wieso das wiederum der Fall war, weiß ich bis heute nicht zu beantworten. Manche Dinge sind halt so.

Mit meiner ehemaligen Turnlehrerin verkrachte ich mich dermaßen, dass ich nicht mehr zum Sportunterricht kommen musste und von meinem ehemaligen Mathe-Professor mag ich gar nicht reden. Er war ein maßgeblicher Grund dafür, dass ich 1 Jahr vor der Matura, mit 17 Jahren die Schule abbrach. Mit einem „Nicht genügend“ verließ ich die schulische Laufbahn und wollte weder von Dreiecken noch Leichtathletik je wieder etwas hören müssen.

Wie es der Zufall aber wollte, begann ich 15 Jahre später, zu laufen. Und bekam beinahe zeitgleich die Chance, auf dem 2. Bildungsweg die Matura nachzuholen. Mit fast 33 Jahren nochmal die Schulbank drücken … erst dachte ich: schwierig. Dann: wieso nicht?

So wie ich wusste, dass ich in Sport schon immer schlecht war, war ich mir sicher, dass ich auch 15 Jahre später noch die komplette Niete in Mathematik sein würde. Was sollte sich denn daran auch geändert haben? Jahrelange Bürotätigkeit hat bisher noch bei den wenigsten für nennenswerte Lernerfolge und Zuwachs an logisch-kreativem Denken gesorgt. Bei mir zumindest nicht.

Mit dem Laufen lief es allerdings besser als erwartet und mittlerweile würde ich mich nicht mehr als total unsportlich und auch nicht mehr als völliger Konditions-Loser bezeichnen. Das war schon mal überraschend.

Und dann … ungefähr 6 Wochen vor der schriftlichen Mathe-Abschlussprüfung, wir waren mal wieder mehrere Stunden am Rechnen, fragte mein Lehrer, was ich so für ein Gefühl habe in Bezug auf die Prüfung. Und wahrheitsgemäß antwortete ich: „Kein sehr gutes. Ich habe eine solche Angst davor, vor diesem Blatt zu sitzen und nichts mehr zu wissen. Ich kann es ja immer nur mit Hilfe der anderen. Alleine krieg ich das nicht hin. Und wenn ich es alleine versuche, dann habe ich Angst, dass ich einen kompletten Schwachsinn rechne, der gar keinen Sinn macht.“

Er antwortet: „Das ist die falsche Einstellung. Du musst anders an die Sache rangehen. Du wählst deine Einstellung dazu.“ Ich widersprach ihm und sagte: „Naja, das ist weniger eine Einstellungssache als eine Sache der persönlichen Erfahrung.“ Und dann sagte er etwas, was ich nicht vergessen werde: „Von welcher Erfahrung sprechen wir denn? Die, die schon sehr lange her ist – oder deine jetzige aktuelle Erfahrung, die du machst?“

Und ich überlegte. Stellte dabei fest, dass ich tatsächlich noch im alten Muster von vor 15 Jahren steckte, denn in Wirklichkeit war ich inzwischen besser in Mathe – ich verstand mehr als früher und es interessierte mich auch viel mehr. Also gab ich zu, dass ich wohl eher die alten Erfahrungswerte meinte.

Er nickte nur und sagte dann im Vorbeilaufen:

„Dann wird es Zeit, eine Entscheidung zu treffen und die alten Dinge abzuhaken.“

Darüber habe ich noch wochenlang nachgedacht. Ist es das? Kann ich einfach Dinge, die früher nicht funktioniert haben, abhaken und neu versuchen und der Ausgang ist nicht bereits vorprogrammiert? Alles ist möglich?

Wenn ich die letzten beiden Jahre ansehe, muss ich sagen: Ja. Alles ist möglich. Ich laufe, was ich niemals für möglich gehalten hätte – und es macht mir auch noch Spaß, was noch viel unglaublicher ist. Ich bin für meine Verhältnisse in der Form meines Lebens und es kann noch besser werden. Und das gilt für soviele Bereiche – denn wisst ihr was?

Ich habe heute das Ergebnis meiner Mathe-Matura bekommen. Und DAS ist für mich die Bestätigung dieser Theorie, dass alles möglich ist. Ich habe ein „Sehr gut“ bekommen. Zum allerersten Mal ein „Sehr gut“ in Mathe.

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